Der Pflichtteil im Schweizer Erbrecht
Der Pflichtteil im Erbrecht der Schweiz stellt sicher, dass gewissen Erben ein Anteil am Nachlass nicht entzogen werden kann. Welche Erben mit einem Pflichtteil geschützt sind und über welchen Spielraum Erblasser bei der Nachlassplanung verfügen – das Schweizer Erbrecht in Kürze.
Was bedeutet der Pflichtteil im Erbrecht?
Der Pflichtteil ist ein Anteil des gesetzlichen Erbteils. Er sichert gewissen Angehörigen eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Im Schweizer Erbrecht steht dieser Schutz folgenden Erben zu: Nachkommen wie Kindern, Enkeln und Urenkeln sowie Ehepartnern oder eingetragenen Partnern.
Möchte ein Erblasser nicht nur seine gesetzlichen Erben berücksichtigen oder zum Beispiel einen seiner Erben auf Kosten eines anderen begünstigen, so hat er mit dem Testament die Möglichkeit, weitere Erben einzusetzen und/oder andere Erbquoten festzulegen. Darin sind dem Erblasser allerdings Schranken gesetzt, sobald es um die Erbteile von pflichtteilsgeschützten Erben geht. Diese Erbteile können nur bis zum Pflichtteil gekürzt werden.
Beim Pflichtteil handelt es sich somit um den festgelegten Mindestanteil am Erbe, der einem gesetzlichen Erben nicht vorenthalten werden kann. Sind pflichtteilsgeschützte Erben vorhanden, beträgt die frei verfügbare Quote die Hälfte des Nachlasses. Umgekehrt können alleinstehende Personen ohne Nachkommen über ihren ganzen Nachlass frei verfügen.
So viel beträgt der Pflichtteil im Schweizer Erbrecht
Der Pflichtteil im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) beträgt bei:
- Nachkommen (Kindern, Enkeln, Urenkeln): je die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Bis Ende 2022 betrug der Pflichtteil noch drei Viertel)
- Ehepartnern oder eingetragenen Partnern: die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
Die gesetzlichen Pflichtteile betragen maximal die Hälfte des gesamten Nachlasses. Die restlichen 50 Prozent sind die freie Quote.
Das Pflichtteilsrecht der Eltern ist in der Erbrechtsrevision aufgehoben worden. Bis Ende 2022 betrug der Pflichtteil der Eltern die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils. Unter dem neuen Erbrecht erben Eltern somit nur noch gemäss der gesetzlichen Erbfolge. Also, wenn die Erblasserin oder der Erblasser keine Nachkommen hat und die freie Quote nicht anderweitig mit einem Testament oder einem Erbvertrag geregelt wurde.
Pflichtteil für Enkel, wenn deren Eltern vorverstorben sind
Enkel sind nur dann gesetzliche Erben, wenn sie anstelle ihres vorverstorbenen Elternteils erben. In diesem Fall sind auch sie pflichtteilsgeschützt, wie das unten stehende Beispiel zeigt.
Kein Pflichtteil für Geschwister
Geschwister der oder des Verstorbenen gehören zwar zur gesetzlichen Erbfolge, sie sind aber nicht pflichtteilsgeschützt.
Wie kann gemäss Erbrecht der Schweiz über die freie Quote verfügt werden?
Um über den nicht pflichtteilsgeschützten Teil, die sogenannte freie Quote, zu verfügen, muss ein Testament oder ein Erbvertrag errichtet werden. Mit der freien Quote kann jede beliebige Person begünstigt werden, aber auch Organisationen wie Stiftungen oder Vereine.
Alleinstehende, die keine Nachkommen haben, können frei über ihren gesamten Nachlass verfügen.
Was sind die Konsequenzen, wenn Pflichtteile im Erbrecht verletzt werden?
Erben, die der Meinung sind, ihr Pflichtteil sei vom Erblasser verletzt worden, müssen selbst die Initiative ergreifen.
Eine Herabsetzungsklage beispielsweise muss innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem der Erbe vom Tod des Erblassers erfahren hat. Je nach Situation ist bereits innert Monatsfrist die Ausstellung der Erbenbescheinigung zu verhindern.
Die häufigsten Gründe für Herabsetzungsklagen sind:
- Verletzung der Pflichtteilsquoten im Testament oder in einem Erbvertrag ohne Zustimmung des betreffenden Erben.
- Der Erblasser machte zu Lebzeiten grosse Schenkungen oder Erbvorbezüge. Das gilt insbesondere, wenn diese in den letzten fünf Jahren vor seinem Tod erfolgten oder wenn Schenkungen vom Erblasser frei widerrufbar waren.
- Auch Ansprüche aus Lebensversicherungen zugunsten von Drittpersonen können den Pflichtteil der Erben verletzen.
Können Pflichtteile aufgehoben werden?
Mittels Erbvertrag kann ein Erblasser seinen Nachlass gemeinsam mit seinen künftigen Erben anders regeln als vom Gesetz vorgesehen. Die Erben können teilweise oder ganz auf ihre Erbansprüche verzichten, auch wenn sie von Gesetzes wegen pflichtteilsgeschützt sind. Empfehlenswert ist eine wohldurchdachte Planung, in die alle Beteiligten miteinbezogen werden.
Anders als das Testament kann ein Erbvertrag nur mit dem Einverständnis der Vertragsparteien geändert oder wieder aufgehoben werden. Daher ist ein Erbvertrag sorgfältig zu formulieren und benötigt eine Urkundsperson sowie zwei Zeugen, damit er rechtsgültig ist.
Beispiele für den Verzicht auf Erbe und Pflichtteil
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Erbverzichtsvertrag: Kinder aus erster Ehe
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Ehepartner, die in zweiter Ehe miteinander verheiratet sind, verzichten gegenseitig auf ihr Erbrecht inklusive Pflichtteil; begünstigt sind in der Regel die Nachkommen jedes Ehegatten aus erster Ehe.
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Gut abgesicherte Ehefrau: Erbverzichtsvertrag mit Erbeinsetzung
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Ein Unternehmer setzt seine einzige Tochter, die unternehmerisch in seine Fussstapfen tritt, als Alleinerbin ein. Seine Ehefrau verzichtet auf ihren Pflichtteil, weil sie durch güterrechtliche Ansprüche und Lebensversicherungen bereits ausreichend abgesichert ist.
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Kapitalbedarf zu Lebzeiten: Erbauskaufvertrag
Pflichtteil lässt sich im Schweizer Erbrecht kaum umgehen
Vielleicht ist das Schweizer Erbrecht, das nahestehende Personen eines Erblassers mit dem Pflichtteil schützt, mit ein Grund, dass Schweizer Film-Familiendramen meist etwas zahmer wirken als ihre Hollywood-Vorbilder.
Während ein amerikanischer Filmpatron seinen abtrünnigen Söhnen oder nicht konform lebenden Töchtern mit einem Federstrich das Erbe streichen kann, fehlt dem Schweizer Filmvater dieser Paukenschlag, um seine Kinder wieder «in die richtige Spur» zu bringen.
Nach Schweizer Erbrecht ist eine Enterbung aufgrund von Streitigkeiten oder Antipathie nicht gültig. Sie ist nur möglich, wenn gravierende Gründe vorliegen, etwa eine schwere Straftat gegenüber dem Erblasser oder einem seiner Angehörigen.
Dem Schweizer Filmvater bleibt nur eine Möglichkeit: die Kinder auf den Pflichtteil zu setzen – für ein Filmdrama ist das freilich viel zu unspektakulär.